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Beitrag von S. Rösgen-Tervooren

 
In Erinnerung kommt ein tapferer Demokrat, ein Leidensgenosse der Anne Frank, mit einiger Wahrscheinlichkeit wie die junge Jüdin in einem der Riesengräber in Bergen-Belsen verscharrt: Karl Pierkes. In der Zeit der Weimarer Republik ist Pierkes, Jahrgang 1885, Dreher und Betriebsrat bei den Klöckner-Mannstaedt-Werken. 1931 kandidiert er erfolgreich für den Parteivorsitz in Siegburg. Die goldenen Jahre Weimars sind da längst vorbei, die SA beginnt zu marschieren. Mitglieder des Nazipöbels sind es, die Pierkes und den Kommunisten Languth Anfang 1933 gefangen nehmen, ins Gymnasium am Markt schleppen, entkleiden, mit Rizinusöl übergießen und auspeitschen. Die Angegriffenen landen im Zuchthaus. Dechant Kaspar Heppekausen berichtet in der Chronik der Servatiusgemeinde von dem brutalen Überfall. Die Frauen von Pierkes und Languth kommen weinend zu ihm, der Gottesmann setzt sich für ihre Freilassung ein. Pierkes ist einer derjenigen, die Mitte Februar 1933 eine parteiübergreifende Kundgebung aller Demokraten gegen die NSDAP vorbereiten. Am 13. Februar wird er an der Spitze der Partei bestätigt, am nächsten Tag kommt es zur bekannten Auseinandersetzung zwischen SPD und SS in der Kaiserstraße. Die Nazi-Angreifer beschuldigen die SPD, für den Tod ihres braunen Kämpfers Franz Müller verantwortlich zu sein. Ein willfähriger Richter bestätigt die Version  mit seinem politischen Urteil. Als der sogenannte Volkshausprozess neu aufgerollt wird und sich Zeugen melden, die Pierkes entlasten, gibt es späte Genugtuung für ihn. Fast zwei Jahre verbringt er bis zum Freispruch in Gefängnis- und Konzentrationslagerhaft, danach findet er keinen Frieden. Bei jeder noch so kleinen Gelegenheit bestellt ihn die Staatsmacht, sperrt ihn für jeweils einen Tag ein. Automatisch wird er mit Matthias Klein, einem Gewerkschaftler, nach dem fehlgeschlagenen Hitlerattentat am 20. Juli 1944 in Haft genommen und ins Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg überstellt. Als sich im März 1945 die Rote Armee dem Lager von Osten nähert, geht es für Pierkes und Klein ins 250 Kilometer entfernte Bergen-Belsen. Sind sie Teil des Eisenbahntransports Richtung Westen? Müssen sie zu Fuß auf den Todesmarsch, als die Bahnen nicht mehr fahren? Kommen sie in Belsen um oder unterwegs? Niemand weiß es. Mithäftlinge sehen, wie Pierkes, trotz seiner 60 Jahre der physisch stärkere, den Freund stützt. Seit 2008 gibt es einen Stolperstein für Karl Pierkes. Er ist vor der Kaiserstraße 108 im Boden eingelassen, also dort, wo die SPD bis 1933 ihr Parteilokal unterhielt und heute das Gewerkschaftshaus ist. Es ist noch nicht lange her, dass Menschen in Deutschland für ihre politische Überzeugung und ihren Einsatz für die Demokratie sterben mussten. Ein Porträt im Rathaus würde an einen mutigen Siegburger Demokraten erinnern.


Stolperstein-Pierkes    
 

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